Meilenstein im Jubiläumsjahr: Khatthiyakon Sasitharamat legte Pionierarbeit zur thai-deutschen Geschichte vor.

Hamburg/Bangkok. Das erstaunlichste an diesem Werk ist, daß es erst jetzt, 67 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zur 150. Wiederkehr der offiziellen Aufnahme diplomatischer und Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem alten Siam und Preußen im Jahre 2012 erschienen ist.

Die thai-deutschen Beziehungen während der für beide Länder besonders ereignisreichen Zwischenkriegsjahre 1919–1939 und bis zum Ende des zweiten Weltkriegs waren bisher noch nie Gegenstand einer wissenschaftlichen Monographie oder eines populärwissenschaftlichen Buches gewesen.

Im Gegenteil konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, als sei es bei institutionellen Trägern der thai-deutschen Freundschaft nicht besonders erwünscht, in diese Materie einzudringen. Als sich zum Beispiel Jochem Weikert, Begründer und Redakteur der Thailand Rundschau, dem Organ der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft in Bonn, zu Anfang der 1990er Jahre in einer Artikelfolge diesem Thema näherte, war das bereits angekündigte Kapitel über Ereignisse ab 1917 nicht erschienen. Weikert war vor dem Druck im Streit mit dem Präsidenten aus der DTG ausgetreten. Seine damals vielbeachtete Serie über die gemeinsame Geschichte der beiden Länder wurde nicht weitergeführt; die Einstellung mit keinem Wort thematisiert.

  Zwar erschien 1995 eine eklektische Darstellung der Thai-Deutschen Beziehungen bis 1962, die sich in die offizielle Buchreihe der DTG einfügte, doch erst vor einigen Jahren recherchierte mit Volker Grabowsky erstmals ein ausgewiesener Experte über thai-deutsche Ereignisse zwischen 1919 und 1945. Seine nur in einem Fall (2008) publizierten Vorträge zu diesem Thema sind außerhalb akademischer Kreise bisher wenig bekannt.

  Umso erfreulicher ist diese nun für viele Jahre sicher wegweisende Monographie von คัททิยากร ศศิธรมาศ Khatthiyakon Sasitharamat („Catthiyakorn Sasitharamas“). Sie verändert den Blick auf die gemeinsame Geschichte der beiden Länder. Frau Kkatthiyakon, die mittlerweile an der Sinakharinwirot Universität in Bangkok lehrt, schrieb sie als Doktorarbeit (2011) am Asien-Afrika Institut der Universität Hamburg. Ihre Pionierarbeit besteht darin, daß sie als erste Forscherin Akten des politischen Archivs des Auswärtigen Amtes, des Bundesarchivs und auch von Thailands Nationalarchiv gründlich für ihr Thema ausgewertet hat. Zudem hatte sie Einsicht in Akten der ehemaligen amerikanischen Gesandtschaft in Bangkok, die Lydia Seibel für ihre Arbeit über die Wurzeln der thailändischen Parteiendemokratie bis 1935 verwendet hat. Dadurch konnte ein Teil der manchmal spärlichen deutsch-siamesischen Quellen quasi „gegengelesen“ werden.

  Leider bestand offenbar keine Gelegenheit, noch die weiteren US-Akten der eigentlich besonders interessanten Zeit von 1935 bis 1946 für dieses Thema einzusehen (oder auch vielversprechende Quellen weiterer Länder wie vor allem solche aus Österreich), aber gerade diese Lücke regt vielleicht zu weiteren Untersuchungen an. Etwa mit Blick auf Spannungen zwischen einigen deutschen Nazis an der Gesandschaft und der großen Zahl von Flüchtlingen einschließlich Juden in Bangkok.

  Wie durch Frau Khatthiyakons Forschung erstmals deutlich wird, standen sich führende Köpfe der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur sowie solche des alten Siam unter den sechsten und siebten Chakkri-Herrschern und Militärdiktatoren wie Feldmarschall Plaek Khittasangha alias Plaek Phibunsongkram oft näher, als man bei oberflächlicher Kenntnis der Geschichte vielleicht anzunehmen geneigt wäre.

  Nicht nur der keineswegs unbeliebte Feldmarschall eiferte damals in Bangkok Hitler, Mussolini und Franco nach und träumte von Groß-Thailand. Man stand auf Seiten der Achsenmächte, annektierte unter Japans schützender Hand weite Gebiete der Nachbarländer und grenzte andere Volksgruppen aus, indem man Siam auch nach außen hin in Thailand („Land der Thais“) umbenannte. Man setzte sogar die künstlich geschaffene, noch heute gebräuchliche „offizielle“ Grußformel „Sawatdi“ als bewußte Anlehnung an die Gepflogenheiten der europäischen Faschisten durch. Auch der damals neu erfundene patriotische Jubelruf „Chaiyo“ ist noch heute allerorts in Thailands Sportstadien zu hören.

  Mit „Sawatdi“ oder gar, wenn es paßte, „Sawatdi Phibun“ (Sawatdi = Heil, Segen) war man verbal mit dem „Deutschen Gruß“ auf Augenhöhe. Auch sonst standen sich viele führende Deutsche und Thais gerade im Geiste von 1933 bis 1945 erstaunlich nahe, wie die Autorin anhand von zum Teil erstmals ausgewerteten Quellen erkennen läßt.

  Schon lange vor 1933 waren hohe Thai-Militärs, die noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts stets Mitglieder oder nahe Verwandte der Herrscherfamilie gewesen waren, in Deutschland ausgebildet worden, etwa der germanophile, bis 1932 einflußreiche Prinz Boriphat Sukhumphan (1881-1944). Thailands zweiter, 1933 nach einem weiterem Putsch an die Macht gekommener und 1938 nach bewiesener Korruption zurückgetretener Premierminister Phot Phahonyothin (1887-1947) war in der Preußischen Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin ein Klassenkamerad Hermann Görings gewesen.

  Daß es damals sogar gegenseitige Einladungen der Hitlerjugend und patriotischer Thai-Jugendorganisationen gab, ist nur ein weiteres von vielen überraschenden Details dieser Arbeit.

  Geradezu kurzweilig lesen sich Auszüge der leider noch nicht übersetzen zeitgenössischen Erinnerungen von วิชา ฐิตวัฒน์  Wicha Thitawat, die unter dem Titel คนไทยในกองทัพนาซี khon thai nai kongthap nasi („Als Thai im Nazi-Heer“) erschienen sind.

  Wicha, der nach seiner Ausbildung im deutschen Heer in Frankreich diente und später gemeinsam mit weiteren Thais bis zur Kapitulation 1945 unter dem Bombenhagel im umkämpften Berlin lebte, gibt in seinem in Thailand seit den 1950er Jahren immer wieder aufgelegten Werk auch aufschlußreiche Einblicke, wie viele Thais generell die Welt sehen.

  Khattiyakon Sasitharamat ist es gelungen, mit ihrem Werk eine für die Forschung neue Seite der thai-deutschen Beziehungen aufzuschlagen. Sie hat einen wissenschaftlichen Steinbruch erstmals erschlossen, von dem man sich nur wünschen kann, daß er von vielen Forschern fruchtbringend genutzt wird.

 Hans Michael Hensel

„Catthiyakorn Sasitharamas“: Die deutsch-thailändischen Beziehungen in der Zeit der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. – Schriften zur Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts Band 4 (ISSN 2192-1881). Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2012, 346 + XI Seiten, ISBN 978-3-8300-6361-2, 98 Euro.

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Trotz der Freude über diese willkommene Neuerscheinung müssen Mängel angemerkt werden, die teilweise dem herausgebenden Fachverlag mit anzulasten sind.

  Zunächst dürfte auch der geneigteste Leser die Ausstattung des Buches angesichts des Preises von fast 100 Euro als unangemessen empfinden. Dieser Preis alleine dürfte die Verbreitung der neuen Erkenntnisse leider nachhaltig behindern. Ein technisch in der Art eines Abreißblocks hergestelltes Werk, das, wie das Rezensionsexemplar, nach einmaliger Nutzung vollkommen aus Form und Leim geht, unrettbar schiefgelesen und für Bibliotheken bereits unzumutbar ist, stellt jeder Kopierladen für ein Fünftel dieses Preises her.

  Ein Lektorat des „Fachverlags für wissenschaftliche Literatur“ ist nirgends spürbar, obwohl die Verlagsinformation für die dort erscheinenden wissenschaftlichen Schriftenreihen zumindest dem uneingeweihten Leser nahelegt, daß es eigentlich einen verantwortlichen Herausgeber oder Verlag geben müßte. [Anmerkung: Nachträglich erhaltene Information ergab, daß dem nicht so ist: Der Fachverlag bietet keinerlei Lektorat für seine wissenschaftlichen Schriften.]

  Erkennbar ist dafür leider die Eile, in der die Druckfassung offenbar hergestellt werden mußte. Es ist schade für diese Arbeit, daß man über viele Schreib- und Grammatikfehler stolpert, auch in Anmerkungen und bei Literaturangaben. Letztere sind teilweise schwierig nachvollziehbar, wenn etwa Zeitschriftennummern angegeben sind, aber der Titel des Artikels fehlt, oder wenn – etwa wie im Falle eines berühmten Werkes von Adolf Bastian – eine schlechte englische Übersetzung des 21. Jahrhunderts anstatt des deutschen Originals des 19. Jahrhunderts als Quelle angegeben ist.

  Leider wurden auch bekannte Fehler in Sekundärquellen oft übernommen, und zwar auch dann, wenn in wichtigen und leicht zugänglichen Rezensionen dieser Werke explizit darauf hingewiesen wurde. Der erste Deutsche, der nachweislich in Ayutthaya gewesen ist, war zum Beispiel nicht 1690 der Westfale Engelbert Kempfer, sondern 1650 der Franke Johann Jakob Merklein, um nur den ersten Fehler dieser Art bereits im ersten Absatz des Buches zu erwähnen.

  Eine Zumutung gerade für den informierten Leser ist schließlich die Inkonsequenz bei lateinisch geschriebenen thailändischen Begriffen. Die Autorin hält sich nicht an die eigentlich einfachen und sinnvollen (da der tatsächlichen Aussprache gerade für deutschsprachige Leser zumindest nahekommenden) offiziellen Übertragungsregeln thailändischer Begriffe, sie bietet aber auch keine eigenen Regeln oder erklärt diese.

   So wechseln die Schreibweisen oft auf ein und derselben Seite. Daß es sich bei „Paribatra“ und Boriphat, „Prisdang“ und Pritsadang, „Jumsai“ und „Chumsay“ [Chumsai], „Devawongs“ und Thewawong usw. tatsächlich jeweils um eine Person handelt, dürfte nicht jeder Leser ohne weiteres erahnen.

  Bei Eigennamen mag dies noch verständlich sein. Weshalb aber nicht einmal die amtliche lateinische Schreibweise weltbekannter Städtenamen und anderer geographischer und offizieller Begriffe wiedergegeben wird, sondern dem Leser auch hier ein oft schwer durchschaubarer und unnötiger Buchstabensalat zugemutet wird, ist oft im Wortsinne unverständlich („Kancanaburi“, „Mom Cao“, „Khawe“ [Khwae], „Caophraya“, „Rajawongse“ [Ratchawong] …).

Dem Buch wäre sehr zu wünschen, daß es in einer zweiten Auflage, in einer bezahlbaren Ausgabe – vielleicht sogar bebildert -, noch einmal erscheint. Die zuletzt genannten Fehler könnte man dabei ganz einfach durch den lektoralen „Aha-Effekt“ ausmerzen, der sich in einem ordentlichen Verlag von selbst ergibt, wenn man dem Leser ein – gerade bei so einer Pionierarbeit schmerzlich vermißtes – Sach- und Personenregister gönnt. [hmh.]