Schönfärberei in der Hochsaison: Notstandsrecht aufgehoben — für die Machthaber alles wie gehabt

Hinweis: Im TIP Forum finden Sie weitere Informationen und aktuelle Bilder unter anderem in dem Thema Wohin steuert die UDD unter Thida Thawonset? ; während Sie über den vorliegenden Artikel hier mitdiskutieren können: http://forum.thailandtip.de/topic=9551.0
 

Von Hans Michael Hensel, Bangkok.

"Window Dressing" ist das, was man derzeit beim Einkaufsbummel in Bangkok sieht. Thais sind die unbestrittenen Weltmeister der Schaufensterdekoration. Das gilt auch im übertragenen Sinn: "Window Dressing" bedeutet auch "Schönfärberei". Womit wir beim Thema sind.

Die Zusammenfassung der weihnachtlichen Nachrichten über Thailand, das einst beliebteste, neuerdings zur Nummer sechs abgesackte Fernziel deutscher, österreichischer und Schweizer Urlauber, liest sich nicht gut. Sie kann allen, die den Menschen dieses Landes wohlgesonnen sind, keine Freude bereiten.

Im ehemaligen Land des Lächelns kommt es auf "Gesicht" an. Um die Optik zu wahren, hob die Aphisit-Regierung zur Hauptsaison das Notstandsrecht auf. Offiziell. Urlaubslaune liest sich jedoch anders als das Kleingedruckte dieser Maßnahme. Das klingt mehr nach Militärdiktatur. In gewissen Provinzen, in die kaum ein Tourist jemals vordringt, blieb ohnehin alles beim alten: Dort regiert de facto das Militär. Das Land ist zerrissen; Beobachter erinnern sich an 1973 und 1976. Schüler, die eine "falsche" politische Meinung geäußert haben, werden derzeit, wenn sie Glück haben, in Einzelfällen "nur" als Studierende abgelehnt. Wenn sie Pech haben, kommen sie in Upcountry Dörfern zur Umerziehung in die "Psychiatrie".

Unterdessen geht in Bangkok erneut die Opposition auf die Straße. Und zwar friedlich trotz 90 Toten durch die vom Militär verursachte Eskalation im April und Mai 2010. Wieder einmal, wie so oft in den vergangenen Jahrzehnten, schoß eine eitle, selbstgerechte, überforderte Truppe aus selbsternannten Kommunistenjägern und angeblichen Beschützern der Monarchie auf die eigene Bevölkerung. Die wartet seit Monaten auf eine Antwort darauf, warum und in wessen Auftrag friedliche Demonstranten, ausländische Journalisten, einfache Krankenschwestern oder auch der eine oder andere Oppositionsführer durch militärische Spezialmunition gezielt getötet wurden. Skrupellose Auftragsmörder haben in Thailand auch eine lange "Tradition".
Ein Untersuchungsergebnis liegt, wie berichtet, der Regierung längst vor, wird jedoch offenbar aufgrund seiner Brisanz nicht veröffentlicht. Damit ist für einen gesunden Menschenverstand alles über die Schuldfrage gesagt. Wer solche Themen optisch nacherleben will, kann aber auch noch bei asiancorrespondent.com reinschauen.

Hier die Nachrichten über Thailand, die in den vergangenen paar Stunden auf meinem Schreibtisch landeten:

1. Meine Lieblings-Reisekauffrau Jutta M. schickte mir die aktualisierten offiziellen "Studiosus"-Sicherheitshinweise für Bangkok — Zitat:

Thailand: Notstandsrecht fuer Bangkok und umliegende Provinzen aufgehoben

In Reaktion auf die Beruhigung der innenpolitischen Lage hat die thailaendische Regierung am 22. Dezember das Notstandsrecht fuer die Hauptstadt Bangkok und mehrere Provinzen in der Umgebung aufgehoben. Das Notstandsrecht war Anfang April 2010 verhaengt worden, nachdem … (wissen wir alle)

Da Opposition und Regierung bisher jedoch keine grundlegende Einigung in den seit Jahren ungeloesten politischen Fragen des Landes erzielen konnten, ist eine andauernde Lage-Entspannung derzeit nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund sind neue innenpolitische Auseinandersetzungen und Demonstrationen der verschiedenen Lager auch in Zukunft nicht auszuschließen.

Trotz der derzeit ruhigen Lage im Land haben alle im Jahr 2011 gebuchten Thailand-Gaeste ein Recht auf kostenlose Umbuchung ihrer Reise bis vier Wochen vor Abreise.

Klingt nicht nach goldener Ferienidylle.

2.: Das deutsche Auswärtige Amt ist folgender Meinung — Zitat:

Das Notstandsrecht wurde mit Wirkung vom 22. Dezember 2010 für Bangkok und die umliegenden Provinzen Nonthaburi, Samut Prakan und Pathum Thani aufgehoben.

Gleichzeitig wurde der Internal Security Act in Kraft gesetzt, der den Polizeikräften erweiterte Zuständigkeiten verleiht. Insbesondere räumt er der Polizei größere Befugnisse bei Inhaftierungen ohne Gerichtsbeschluss ein.

http://www.auswaertiges-amt.de/

Fragen Sie sich nicht auch, wieviel Spaß es eigentlich machen kann, in einem "Land des Lächelns" Urlaub zu machen, in dem jedes Zimmermädchen jederzeit ohne Gerichtsbeschluß verhaftet werden kann, wenn es… ?

3. Die deutschsprachige Presse läßt sich aber derzeit eher nicht für dumm verkaufen. Beispiele:

Österreich: In den Salzburger Nachrichten schreibt Willi GermundZitat:

… Stattdessen trat der „Interne Sicherheitsakt“ (ISA) in Kraft. Er erlaubt es, Personen sieben Tage lang ohne Haftbefehl festzuhalten und Regierungskritiker in Umerziehungslagern zu internieren.

Grundlage ist eine Gesetz, das von den Militärs nach dem Coup gegen den Premier Thaksin Shinawatra im Jahr 2006 erlassen wurde. ISOC verfügt laut eigenen Angaben über rund 60.000 Spitzel im Land. Das Komitee wird von General Dapong Rattanasuwan, dem Stabschef der Armee, geleitet.

Das politische Klima hat sich unter dem Einfluss des neuen Chefs der Streitkräfte, General Prayut Chan-Ocha, verschlechtert. Er hatte vor der Aufhebung des Notstands darauf bestanden, dass weiter massiv gegen Fälle von angeblicher Majestätsbeleidigung des Königshauses vorgegangen wird. …

http://www.salzburg.com/online/nachrichten/

 

Schweiz:  In der Neuen Zürcher Zeitung ergänzt Sascha ZastiralZitat:

…Der neue Armeechef Prayuth Chan-Ocha erklärte im Oktober: «Es gibt zwei Gruppen von Thais: gute und schlechte, normale und gesetzlose. Die Schlechten und Gesetzlosen müssen strafrechtlich verfolgt werden, ganz gleich, was sie tun. Sie können sich später auf legale Weise verteidigen.» Prayuth stellte eine neue Armeeabteilung auf, die Telefonate und E-Mails von Armeeangehörigen überwachen und «Gegner der Monarchie» innerhalb der Armee ausfindig machen soll…

Ministerpräsident Abhisit zeigte sich über die Anordnung irritiert …. Wenige Tage später zog das CRES die umstrittene Anordnung zurück. Die Frage, wer Thailand derzeit in Wirklichkeit regiert, bleibt jedoch.

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/


Deutschland: In der Badischen Zeitung wird berichtet (leider ohne erkennbaren Autor) — Zitat:

Die Behörden verschleppen seit Monaten Untersuchungen über die staatliche Verantwortung bei den tödlichen Zwischenfällen.

Insgesamt wurden fast 500 [Regierungsgegner] verhaftet und teilweise zu drakonischen Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren verurteilt.

Kwanravee Wangudom vom People’s Information Centre glaubt: "Das Militär behält die Kontrolle."

Die Ortsvorsteher in den Dörfern Thailands beschweren sich seit Wochen, dass sie zu Befehlsempfängern der Militärs degradiert würden.

http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/ausland/

Hier noch ein Artikel von Lee Yu Kyung zum Thema. Man muß sicher nicht, wie Lee, für das "Neue Deutschland" schreiben, um die Sache so zu sehen Zitat:

Das Königreich Thailand wird also offenbar vom Militär kontrolliert, das über dem zivilen Premierminister und seiner Regierung steht. … Durchaus möglich ist …, dass sich die Bewegung der Rothemden aufgrund solcher Verbote weiter radikalisiert.

Es besteht leider derzeit kein Grund zur Annahme, daß sich in den kommenden Monaten, insbesondere nach dem Ende der Touristensaison (man ist fast versucht, "Stillhaltesaison" zu schreiben…), für die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in diesem Lande etwas Grundlegendes zum Besseren hin ändern könnte.