Von Hans Michael Hensel
Phuket. Einige Augenzeugenberichte zum "Vegetarierfest" aus dem TIP Forum der vergangenen Jahre:
"… den Eindruck, in einem Kriegsgebiet zwischen die Fronten geraten zu sein.
Es begann ein ohrenbetäubender Lärm, gemischt mit dem Gestank von verbranntem Schwarzpulver. Knaller in schier unglaublicher Zahl wurden gezündet, es krachte und blitzte von allen Seiten, die Straße hüllte sich minutenlang in Rauchwolken."
"…das Gros der Zuschauer ethnisch der Chinesenzunft zuzuordnen, die sich von den Geweihten berühren oder segnen lassen wollten."
"Das Beeindruckendste waren, neben den gezeigten Bildern, alle in Trance befindlichen Teilnehmer (abertausende). Das Weiße in den kullernden Augen zeigend, kopfschüttelnd und alle Männer per Kopfstimme kommunizierend. Voodoo Kult kommt dem irgendwie Nahe. Nichts für schwache Nerven. Es ist unheimlich, eine so große Masse auf Geisterbewußtsein hypnotisiert zu erleben.
"Mittlerweile hat sich nach Recherchen ergeben, daß einzelne Teilnehmer einen psychichen Schaden davontragen und es mit der Freiwilligkeit der Prozessionsteilnehmer nicht weit her ist."
…
Da unter Ausländern in Thailand kaum jemand weiß, wovon eigentlich die Rede ist, wenn vom "Vegetarier Festival" in Thailand die Rede ist, hier der Hintergrund:
Es gibt, außer zum Zweck der einprägsamen Vermarktung durch die Tourismusbehörde, eigentlich gar kein chinesisches "Vegetarisches Festival" oder "Vegetarierfest" in Thailand. Jedenfalls nicht für Taoisten, die vom 15. bis 23. Oktober 2012 in Südostasien tatsächlich etwas feiern.
Für ein "Vegetarierfest" gäbe es schon mal viel zu wenige Chinesen, die Vegetarier sind. Denn Chinesen essen normalerweise alles, was Beine hat, was schwimmt oder fliegen kann, mit einigen wenigen Ausnahmen, versteht sich, zum Beispiel Tische, Unterseeboote und Flugzeuge.
Dafür kennen Taoisten das neuntägige "Fest der Neun Kaiser-Götter", auf Mandarin: Jiǔ Huáng Yé, kantonesisch: Kau Wong Yeh.
Besonders intensiv wird es von Chinesen in Malaysien gefeiert. Schon deshalb ist es verständlich, daß es auch in Phuket angesagt ist, denn dort ist man den Chinesen in Malaysien, vor allem denen in Pinang (Penang), viel enger durch geschäftliche und verwandschaftliche Beziehungen verbunden, als etwa mit den Chinesen in Bangkok. Von Phuket aus segelte man früher in einem Tag nach Pinang, brauchte aber mehrere Tage über Land nach Bangkok.
Pinang-Reisenden dürfte zum Beispiel der "Tempel der Neun Kaiser Götter" ("Tau Boo Kong") in Butterworth bekannt sein. Ein gleichnamiger Tempel in Ipoh bietet sogar englische Informationen: http://www.nine-emperorgods.org/
In Bangkok ehrt man die "Neun Kaiser-Götter" zwar auch, aber als normaler Besucher bemerkt man das Fest dort eher dadurch, daß die Farbe Weiß im Straßenbild und bei der Kleidung der ethnischen Chinesen vorherrscht, als durch Menschenmassen, vor denen man sich vernünftigerweise im Regelfall fernhalten sollte und die sich in Trance bizarre Gegenstände durch den Körper gejagt haben.
In Städten mit hohem Chinesenanteil im Süden Thailands wie etwa in Trang, Krabi oder Ranong sind die entsprechenden Umzüge längst zu einer Art Karneval geworden. Man spricht sich untereinander ab, die Darsteller der "Medien" führen ihre Kunststückchen, etwa durch den Mund gezogene Gewehrläufe oder durchstochene Zungen, während der neun Tage an mehreren Orten nacheinander auf.
Trotz des inzwischen eingeführten Alkoholverbots und des wiederholten Appells der Gesundheitsbehörden, sich nur noch nur die immerhin in gewisser Weise "traditionellen" Nadeln durch den Körper zu stechen, verkommt das Fest, ähnlich wie auch das buddhistische Neujahrsfest während der Songkran-Exzesse in Thailand, mehr und mehr zu einem reinen Spektakel, bei dem vieles längst nicht so ist, wie es für die Zuschauer scheint, etwa wenn professionelle Darsteller frische Schweinezungen und Blutbeutel im Mund mitführen, um die optische Dramatik zu steigern…
Wie kam es eigentlich zu diesem Umzügen?
In Phuket erzählt man, daß die Aufführungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Kathu durch eine fahrende Theatergruppe aus China eingeführt worden sein sollen. Damals, so kann man hören, sei eine seltsame Epidemie ausgebrochen, worauf festgestellt worden sei, daß man vergessen hätte, den neun chinesischen Kaiser Göttern die Ehre zu erweisen. Daraufhin wurden natürlich
sofort entsprechende Huldigungsstätten errichtet und man hielt sich äußerlich und innerlich rein, d. h. man aß nichts, das schlechten Geruch verbreitet, kleidete sich in Weiß und verzichtete neun Tage lang auf Sex.Die fromme Abstinenz und die sonstigen bis heute gepflegten Rituale scheinen gut gewirkt zu haben. Also kann es nicht schaden, daß man entsprechende Zeremonien bis heute pflegt, auch wenn man vom ursprünglichen Inhalt des Festes in einigen Gegenden nur noch wenig erkennt.
Hauptattratkion sind die in vermeintlicher oder tatsächlicher Trance durch die Straßen ziehenden ม้าทรง má: song: ma song, also die oft bizarr auftretenden menschlichen "Medien" mit ihren, wie man glaubt, übernatürlichen Kräften. In Gestalt der Ma Song nehmen dem Glauben zufolge nicht nur die neun Kaiser Götter an den Festlichkeiten teil, sondern die Ma Song segnen stellvertretend für diese fiktiven göttlichen Teilnehmer auch das dankbare Publikum.
Während des neuntägigen "Fests der Neun Kaiser-Götter" unterlassen gläubige Taoisten den Genuß bestimmter Nahrungmittel, unter anderem solcher, die nach der Einnahme einen schlechten Geruch verbreiten. Es zieht aber nicht nur der Genuß von Fleisch einen eher unangenehmen Körpergeruch nach sich. Man unterläßt es während dieses Festes genauso, etwa Knoblauch, Koriander und Chinesischen Schnittlauch (Allium tuberosum) zu sich zu nehmen.
Mit dem gleichen Recht wie als "Vegetarierfest" oder "Vegetarian Festival" könnte man das "Fest der Neun Kaiser-Götter" also zum Beispiel auch als "Knoblauchmuffelfestival" für Ausländer vermarkten…
Daß es in Thailand für Ausländer als "Vegetarier Festival" bekannt wurde, liegt allerdings auch an der Oberflächlichkeit der Thais, die das Fest ihrer chinesischen Mitbürger เทศกาลกินเจ tê:d sà¿ ga:n gin dsche: thetsakan kin che nennen, also "Fest" bzw. eigentlich "Saison" oder Zeit des Essens fleisch- und fischloser Gerichte.