In einer Nacht im Oktober 1973 saß meine Mutter (die im achten Monat mit mir schwanger war) zu Hause, weinte und sorgte sich. Mein Vater, Offizier der Anti-Plünderungs Einheit, war in einem Polizeirevier von militanten Linken eingekesselt.
In seinen Armen hielt er einen seiner Untergebenen, der einen Bauchschuß hatte. Er blutete stark.
Es waren zwischen 15 und 20 Polizisten in dem Revier eingeschlossen, umzingelt von Hunderten Oppositionellen. Die Situation war hoffnungslos. Scharfschützen waren überall. Der angeschossene Polizist verblutete schließlich.
Spät nachts befahl mein Vater seinen Untergebenen, die Uniformen auszuziehen und Zivilkleidung anzulegen. Im Schutz der Dunkelheit entkamen sie.
Ein paar Stunden später gelang es meinem Vater, zurück nach Hause zu meiner Mutter durchzukommen.
Wenn ich an all die Staatsstreiche, Proteste und das Blutvergießen denke, das sich in Thailand ereignet hat, frage ich mich: Wofür haben wir gekämpft? Was haben wir erreicht?
Die Mehrheit lebt noch immer in Armut. Unsere Kinder betteln noch immer auf den Straßen. Nicht nur die Politik, unsere Gesellschaft als Ganzes ist korrupt. Und wir haben noch immer keinen blassen Schimmer, was Demokratie ist.
Staatsstreiche, Proteste und Konflikte sind nichts anderes als das Hickhack zwischen Reichen und Mächtigen, deren feurige Rhetorik, raffinierte Taktik und tiefe Taschen die Menschen für ihre Fahnen begeistern.
Ich bin kein Anhänger von Premierminister Samak, auch nicht der fünf Führer der PAD. Ich bin jedoch ein Anhänger von jedem, der am Morgen aufsteht, zur Arbeit geht, für seine (oder ihre) Familie sorgt, den weniger Glücklichen eine helfende Hand reicht und ein ehrliches Leben führt. Egal, welche Farbe das Hemd hat.
Es würde viele Leute glücklich machen, Samak loszuwerden und das Parlament aufzulösen. Es würde auch mich glücklich machen, aber was dann?
Gäbe es dann weniger Korruption? Weniger soziale Ungerechtigkeit? Ausgewogenere Einkommen? Würde dies das Leben der Menschen verbessern?
Wir wollen ihn loswerden, weil er korrupt ist. Aber ist er korrupter als der Durchschnitts-Thai? Wer von uns hat nie den einfacheren Weg gewählt, ist unter den Tisch gekrochen, hat Beziehungen ausgenutzt oder 100 Baht zugesteckt?
Wir wollen ihn loswerden, weil wir keine Thaksin-typischen Mega-Projekte mehr wollen. Aber wiederum – wie man an unseren Medien, unserer Gesellschaft sieht – warum sind wir dann so besessen von Materialismus und Oberflächlichkeit?
Wir wollen nicht, daß er die Verfassung ändert, um seine Ziele – oder die seines Chefs – durchzusetzen. Aber warum biegen wir, die Bevölkerung, täglich Regeln zurecht und manipulieren die Gesetze, um unsere eigenen Interessen durchzusetzen?
Wenn wir einen Wandel Thailands zum Besseren wollen, genügt es nicht, ein paar Persönlichkeiten loszuwerden. Die Veränderung fängt bei uns selbst an. Wir ziehen durch die Straßen, um einen einzigen Mann loszuwerden. Aber marschieren wir auch, um das Leben unserer Brüder und Schwestern in den südlichen Provinzen zu retten?
Wir ziehen durch die Straßen, um einen Mann loszuwerden. Aber sind wir auch marschiert, als Thaksin den Mord an unschuldigen Männern und Frauen auf den Straßen befohlen hatte?
Die PAD hat das Recht, zu protestieren und Samak hat das Vorrecht, darauf zu verweisen, daß er demokratisch und mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde.
Wir können behaupten, die Wahl wäre erkauft worden. Aber welche Wahl wurde nicht erkauft? Eine Wahl zu kaufen, ist ganz einfach eine Angelegenheit von Angebot und Nachfrage. Sie kann nicht gekauft werden, wenn das Volk nicht bereit ist, sie zu verkaufen.
Und das Volk sind wir, die Thais. Es liegt an uns, unsere Freiheit, unsere Demokratie zu verkaufen. Wenn Samak zurücktritt, gibt es Tausende und Abertausende von anderen Samaks, die ihn ersetzen. Die Ideen und die Einstellung Thaksins oder Samaks erinnern an das Sprichwort: „Fische im Wasser und Reis auf dem Feld“.
Ja, wie Fische und Reis, gibt es eine Überfuelle von Thaksins und Samaks in Thailand. Auf allen Ebenen der Gesellschaft, bei Arm und Reich.
Der Neid, die Parteiquerelen, die Intoleranz, der Haß, die Vetternwirtschaft, die Korruption, die politische Rhetorik, die Manipulation, die Ausbeutung, die Selbstsucht und Selbstherrlichkeit, der Widerstand gegen jede Veränderung zum Besseren – all das sehen wir in der politischen Landschaft und beklagen uns darüber. Aber machen wir uns nicht all dieser Mißstände selbst schuldig in unseren Familien, unseren sozialen Beziehungen, in unseren Schulen, an unseren Arbeitsplätzen?
Samak ist nicht viel mehr als ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, ein Spiegelbild dessen, was wir selbst sind – der Schreiber dieser Kolumne nicht ausgenommen.
Ausreden zu finden und die Schuld auf andere zu schieben, ist einfach. Die Reichen beschuldigen die Armen, die Armen die Reichen. Wenn das alles nicht hilft, geben wir dem Schicksal oder den Geistern die Schuld – und
natürlich schieben wir den Ausländern die Schuld zu.
Ja, wir sollten gegen korrupte Politiker auf die Straße gehen, aber es hilft wenig, alle paar Jahre zu protestieren und danach zur Tagesordnung unserer täglichen Korruption, Untätigkeit und Oberflächlichkeit zurückzukehren.
Tatsache ist: Jeder einzelne von uns ist verantwortlich und muß Rechenschaft ablegen für unser Land, unsere Gesellschaft und die Zukunft unserer Kinder.
Was auch immer im Argen liegt mit der thailändischen Politik und Gesellschaft, wir, mehr als 60 Millionen Menschen, haben unsere Finger drin. Und wir sind dafür verantwortlich.
Wir machen Thailand, nicht Thaksin, nicht Samak, sondern wir 60 Millionen Thais. Samak ist nicht einen einzigen Gewaltakt wert, nicht einen Tropfen Blut, nicht eine einzige Träne. Er ist nicht einmal die Beschimpfungen und Haßtiraden wert, mit denen die PAD in täglich eindeckt.
Gehen wir auf die Straßen und protestieren wir aus den richtigen Motiven: Marschieren wir, nicht weil wir Samak hassen, sondern vielmehr, weil wir Thailand lieben.
Wie wir selbst täglich unser Leben führen, als Einzelne oder in der Gemeinschaft, das wird unser Land verändern. Zum Besseren oder zum Schlechteren.
Wir sollten weiterhin korrupte Politiker bekämpfen. Aber wenn wir wirklich wollen, daß sich die Lebensumstände in Thailand verbessern, fängt die Veränderung bei uns an, der thailändischen Bevölkerung. bp