Kommentar: Der rote Marsch

Am Anfang war es beunruhigend für viele Menschen, denn es war einfach zu groß. Die Menge erreichte nicht die in Aussicht gestellte eine Million Menschen, aber wie der sonnengebräunte BBC-Korrespondent atemlos rief, war es die größte politische Kundgebung in Thailand seit über drei Jahrzehnten.

Dies war keine kleine Leistung angesichts der Hindernisse. Es ist nicht so schwierig, eine Kundgebung zu organisieren, wenn die Teilnehmer nur ihr Hemd zu wechseln brauchen und sie mit einer kurzen Taxifahrt vom Büro aus erreichen. Die Logistik ist wesentlich schwieriger und teurer, wenn eine Demonstrationsmeile Hunderte von Kilometern entfernt ist.

Provinzgouverneure waren angewiesen worden, Reisen der Bewegung zu behindern. Polizei baute unzählige Straßensperren auf. Newin-Anhänger hielten Menschen davon ab, zur Hauptstadt aufzubrechen. Die Medien brachten Berichte über Geld, das an die Demonstranten verteilt wurde, damit sie nach Bangkok kommen. Aber kein einziger Artikel berichtete über das Geld, das ausgegeben wurde, um sie davon abzuhalten. Trotz all dieser Anstrengungen war das Zentrum von Bangkok ein Meer in Rot. Die 10 Kilometer lange Schlange von der Rajdamnoen bis Phaholyothin Road brach alle Rekorde.

Der „Rote Marsch“ war auch beunruhigend weil er bisher wirklich gewaltlos verlaufen ist. Teilweise liegt es daran, daß die Polizei große Anstrengungen unternahm, um den Verkehr in Fluß zu halten. Diese Anstrengung verrät enorme Sympathie innerhalb der Polizei für das Anliegen der Rothemden.

Das Fehlen von Gewalt ist das alles überragende Merkmal, besonders wenn man die fehlende Organisation der Rothemdenspitze sieht. Sie hätten doch eine „Horde vom Land“ sein sollen, die „Barbaren an den Toren“, die großen ungewaschenen Roten mit Zähnen und Klauen. Aber es gab kleine Zeichen von zu Schwertern geschmiedeten Pflügen, Stacheldraht, vor Waffen strotzende „Wachen“ oder große Haufen von Golfschlägern.

Der „Rote Marsch” bereitete auch Sorgen wegen der Zahl von Pick-Ups. Die Demonstranten sollten doch die Unterdrückten sein. Und ein Zeichen der Unterdrückten ist, daß sie wirklich in die Resignation getrieben sind, passiv und unterwürfig. Normalerweise kann man sie einfach ignorieren oder leicht handhaben. Aber diese hier waren durch Vermögen geschädigt. Natürlich zählen viele der Fußsoldaten der Bewegung zu den Geringverdienern. Aber die soziale Spanne der Demonstranten ist viel größer als eine einfache Analyse, die Arm gegen Reich beschreibt es darstellen kann. Im hohen Norden und Nordosten sind es nicht nur die Armen die die Rothemden unterstützen, sondern praktisch jedermann.

Aber das am meisten Besorgniserregende war die enorme Show der Unterstützung von lokalen Anwohnern Bangkoks. Von dem Augenblick an, als die Pick-Ups begannen im Zentrum einzutreffen, versammelten sich die Menschen auf dem Bürgersteig, um zu klatschen, zu jubeln und zu winken, um sie willkommen zu heißen. Einige dieser Fans waren Taxifahrer oder Mopedtaxifahrer, die härtesten Verbündeten der Bewegung. Aber andere waren echte ‚blaublütige‘ Einwohner Bangkoks. Überall kamen die Menschen aus den Läden und den Büros um sich an der Straße aufzustellen und zu jubeln.

Außerdem kamen die Menschen an die Fenster oder auf die Balkone der Büros oder das Dach. Die meisten hatten sich irgend etwas Rotes geschnappt, eine Krawatte, ein Handtuch, ein Stück Papier. Die Presse und die Experten hatten den Konflikt als “Land gegen Stadt” beschrieben. Aber wie paßt diese Analyse in diese Szenen auf dem Bürgersteig?

In Chang Nois Nachbarschaft gibt es eine Arbeitersiedlung. Sie waren früher Anhänger der Demokratischen Partei, weil ein lokaler Politiker ihnen geholfen hatte, Landrechte zu bekommen sowie Anschluß an die städtischen Versorgungseinrichtungen. Sie hatten während mehrere Wahlen als Wahlhelfer für die Demokratische Partei gearbeitet. Heute sind sie tiefrot. Am Abend kommen die Kinder auf die Straße zum Spielen. Seit einem Jahr ist eines ihrer liebsten Spiele „Straßenprotest“. Sie marschieren auf und ab und schwenken Fahnen. Sie rufen „keinen doppelten Standard mehr“, „Nieder mit den Aristokraten“ und „Abhisit hau ab“. Sie haben es nicht eilig, aus dem Weg zu gehen, wenn ein Auto passieren will. Die Kinder sind alle um die zehn Jahre alt.

Statt Reportagen hatten wir endlose Voraussagen über ein schlimmes Ende gehört. Die Zahlen stiegen, also wird es Gewalt geben. Die Zahlen sinken, also wird es Gewalt geben. Die Temperatur steigt, also wird die Wut steigen.

Der „Rote Marsch“ war so besorgniserregend weil seine Nachricht so überzeugend war, daß er durch Mauern drang. Trotz der Versuche der Regierung, mit Hilfe von Steuergeldern dagegen zu halten. Trotz der chaotischen Organisation der Anführer wird die Bewegung durch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl verschweißt. Entgegen der konventionellen Analyse hat sich die Unterstützung der Roten längst über die Grenzen der Landbevölkerung hinaus entwickelt. tn