Wie sich Thais und Deutsche sehen

hmh. Berlin. Zur 150. Wiederkehr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Thailand und Deutschland veranstaltete die Humboldt Universität Berlin am 15. und 16. Juni die Studienkonferenz „Gegenseitige Wahrnehmung vor und in der Zeit der Globalisierung“. Gemeint war die Art und Weise, wie sich Thais und Deutsche im Verlauf der Jahrzehnte gegenseitig wahrgenommen haben. Dabei betraten einige Referenten — ähnlich wie jüngst auf dem Hamburger Thai Tag (wir berichteten) — Neuland. Neben Vorträgen über Karl Döhring, Ernst von Hesse-Wartegg und anderen Persönlichkeiten, gab es unter anderem folgendes zu hören:

Prof. Boike Rehbein (Berlin) sprach über „Bilaterale Beziehungen in der Globalisierung“. Prof. Vincent Houben (Berlin) ging der Frage nach, wie Thailand heute aus seinen Nachbarländern in Südostasien angesehen ist. Thema von ดร.จาริต ติงศภัทิย์ Dr. Charit Tingsaphat („Tingsabadh“) von der  Bangkoker Chulalongkon Universität waren Deutschland und Europa aus Sicht der Thais. (Leider hatte der Berichterstatter diese frühen Vorträge wegen langer Anreise versäumt, zudem kann aus Platzgründen auch auf einige weitere Vorträge nicht ausführlich eingegangen werden. Aber zum „Neugierig-auf-das-Thema-machen“ könnte es reichen…

„In-Kultur“: Grüner Tee im Deo

Der Lehrbeauftragte ดร. พิชญ์ พงษ์สวัสดิ์ Dr. Phit Phongsawat („Pitch Pongsawat“) von der  Chulalongkon Universität referierte humorvoll über die „Veröstlichung“ Thailands, sprich: darüber, wie Thais mit der aus Japan, Korea und Taiwan ins Land schwappenden Alternativkultur umgehen.

Bei der Adaption dieser Trends — egal, ob es die japanische Manga Szene, Erwachsenenvideos oder die Einführung von grünem Tee in Thailand betrifft — seien Thai-Chinesen führend. Diese Volksgruppe umriß Dr.Phit übrigens schmunzelnd so: „Typische Thai-Chinesen sprechen Teochiu, sind aber kantonesisch beeinflußt, essen kein Rindfleisch und kaufen grundsätzlich nichts aus China, weil es ja doch Fälschungen sind.“

Trotz dieses Imageproblems sei es aber „super-sexy“, chinesisch auszusehen: „Khao suai, vornehme Blässe, ist absolut in.“ Aber selbst Popstars müßten dafür keineswegs etwa überwiegend chinesisches Blut haben, so der Bangkoker, der derzeit in Passau doziert. Sie müßten nur unbedingt so aussehen…

Vor allem die japanische Kultur sei in Thailand „in“, mit einigem Abstand folge die Koreanische, die sich  mit ungemein beliebten Fernseh-Seifenopern bemerkbar mache: „Früher sah man in der Mittagspause Nachrichten, jetzt sind es zur gleichen Zeit korea­nische Fernsehserien,“ so Dr. Phit.

Aber was bedeutet dann Japanische Kultur aus der Sicht von Somchai Durchschnittsthai? Der Dozent nannte als Beispiel die Vermarktung von Produkten mit dem in Thailand als „typisch japanisch“ angesehenem grünen Tee, dem man geradezu Wunderwirkung nachsage.

So sei in Thailand inzwischen in unglaublich vielen Produkten des täglichen Lebens grüner Tee, Grüner Tee-Aroma, oder zumindest das Versprechen hierzu enthalten. Selbst für Deorants und sündhaft teure Hautcreme verspreche die Werbung oft einen Anteil an grünem Tee. Phit: „Grüner Tee im Deo hat überhaupt nichts mit japanischer Kultur zu tun, aber er stammt nun mal aus Japan und ist in Thailand sowieso „in“, also glauben die Leute, daß Grüner Tee überall gut sei und helfen würde…

Thais und Deutsche 1925–1945

Prof. Volker Grabowsky (Hamburg) sprach über „Die politischen Verhältnisse in Siam 1925 bis 1945 aus der Sicht zeitgenössischer deutscher Dokumente“ und machte gleich zu Beginn seines Vortrags deutlich, daß er stolz auf seine Studentin ดร. คัททิยากร ศศิธรรามาส  Dr. Khatthiyakon Sasitharamat („Catthiyakorn Sasitharamas“) sei, die  jetzt an der Srinakharinwirot Universität in Bangkok lehrt und in Hamburg mit einer bemerkenswerten Arbeit über .Die deutsch-thailändischen Beziehungen in der Zeit der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs promoviert wurde.

Grabowsky knüpfte an diese Forschungen an und beleuchtete die Thai-deutsche Geschichte unter den Gesandten Dr. Rudolf Asmis (Juli 1925–Februar 31), Erich Nord (Januar 1933–April 35), Dr. Wilhelm Thomas (1936–41) und Dr. Ernst Wendler (1943/44).

Die von der deutschen Gesandtschaft seit 1925 von Bangkok nach Berlin gesendeten vertraulichen Berichte aus dieser Zeit seien aus heutiger Sicht durchaus realistisch gewesen, was die politischen Einschätzungen vor und nach der Abschaffung der absoluten Monarchie in Siam angehe, sagte Grabowsky. Der Diktator des von ihm in Thailand umbenannten Siam hatte sich kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs auf die Seite der Sieger gestellt, sein Land gehörte dadurch zu den Siegermächten. Nach dem Krieg änderte man flugs erneut den Namen und nannte sich bis 1948 wieder Siam, um deutlich zu machen, daß man mit den alten Großmachtplänen nichts mehr zu tun haben wollte. Dann kehrte der keineswegs unbeliebte Diktator Phibun Songkhram zurück an die Macht und schaffte erneut den Namen Siam ab.

In den 1930er Jahren lagen die Hoffnungen vieler Deutscher auf Prinz Boriphat, der in Potsdam studiert hatte, sowie auf Phot Phahonyothin, einem Schüler der Militärakademie Lichterfelde und Klassenkamerad Hermann Görings.

Die Stimmung unter den Deutschen dieser Zeit in Thailand sei durchaus gemischt gewesen, hob Grabowsky hervor. Spannungen zwischen deutschen Nazis der deutschen Gesandtschaft und der großen Anzahl von deutschen Flüchtlingen in Thailand einschließlich Juden sind bekannt.

In Deutschland gab es zu jener Zeit eine erstaunliche Vielzahl an Publikationen über Siam bzw. Thailand, wie es ab 1939 bis Kriegsende hieß. Grabowsky erwähnte unter den Thailand-Forschern jener Zeit Walter Trittel und H. Ahmad Manzooruddin.

Walter Trittel war einer der Pioniere der Thaiistik in Deutschland und hat dennoch erstaunlicherweise noch keinen Wikipedia-Eintrag. Über Manzooruddin, der das Buch „Thailand, Land der Freien“ schrieb, weiß man heute fast nichts mehr, außer daß er einst Vizepräsident des Islamischen Instituts in Berlin war. Bemerkenswert an seiner Thailand-Sicht war für Prof. Grabowsky unter anderem, daß er keinen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Politikern Plaek Phibunsongkhram und Pridi Phanomyong feststellen konnte.

„Realitätsmythen“ und importierte „Asiatische Werte“

„Globale Muster als nationale Realitätsmythen: Die Spezifität thailändischer Kultur.“ hieß der Beitrag, mit dem Prof. Rüdiger Korff   (Passau) einiges von unserem vermeintlichen Wissen über Thailands ganz eigene Kultur zurechtrückte.

So besonders eigen sei diese Kultur nämlich gar nicht, belegte Korff. Gerade die in ganz Südostasien gepflegten sogenannten „asiatischen Werte“ zum Beispiel seien in Wirklichkeit viktorianische Werte, während auch der Nationalstaat ein europäisches Modell sei, wie es etwa auf den Westfälischen Frieden und die Französische Revolution zurückgehe.

Als nationale „Realitätsmythen“ nannte Korff unter anderem die „erfundenen Traditionen“ der Thai-Geschichte, wie zum Beispiel die offizielle Darstellung des sagenhaften Königs Ramkhamhaeng von Sukhothai in der thailändischen Geschichtsschreibung.

Ebenso hält die offiziell buddhistische Tradition des Landes der wissenschaftlichen Betrachtung offenbar nicht immer stand. Sicher nicht nur für Korff passen jedenfalls die als Beispiel genannten brahma­nischen Zeremonien der Oberschicht, der tief verehrte Erawan Schrein an der Ratchaprasong Kreuzung in Bangkok oder der in Thailand sehr stark verbreitete Glaube an Geister (Stadtgeister: Thewada und Dorfgeister: Phi) nicht so recht zu einem echten Buddhismus.

Selbst mit dem Mythos des angeblich nie kolonialisierten Thailands [deren Herrscher aber jahrhundertelang Tribute nach China entrichteten] räumte der Passauer Professor schmunzelnd auf: Eine Kolonisation Siams sei gar nicht erforderlich gewesen, da das Land bereits jahrhundertelang von der jeweils herrschenden einheimischen Elite abhängig gemacht und kolonialisiert worden sei…

Thai-Küche als „Globalisierungsgewinner“

 Die kulinatische Globalisierung war Thema des Vortrags „Abwehr und Verlangen: 150 Jahre deutsch-thailändischer klulinarischer Austausch“von Prof. Marin Trenk (Frankfurt). Dieser sei immer eine Geschichte von „Abwehr und Verlangen“ gewesen, seit Adolf Bastian im 19. Jahrhundert als erster deutscher Ethnologe Thailand bereiste.

Thai Essen, so Trenk, sei der Globalisierungsgewinner in der Küchenkunst. In Deutschland habe es anderen asiatischen Küchen  inzwischen komplett den Rang abgelaufen: „Deutsche meinen ja oft, es gebe eigentlich nur ein chinesisches Essen, weil in deutschen China-Restaurants mit Standard-Speisekarte oft alles ähnlich schmeckt. Die Thai Küche ist da in eine Lücke gestoßen.“

Und das, obwohl von wirklicher Vielfalt der Thai Küche im Ausland auch keine Rede sein kann. Denn eigentlich, so Trenk, beruhe der Welterfolg der Thai Küche nach Untersuchungen auf nur 13 angepaßten Gerichten in verschiedenen Variationen, deren Gewürzintensität erheblich reduziert sei und deren Zusammensetzung selten genau dem Original in Thailand entspräche.

So sei es in Europa normal, in Thai Restaurants Tom Kha ohne Kha, Lap ohne Schärfe, Huhn Lap ohne Haut und ohne Innereien serviert zu bekommen. „Übrig bleiben wenig gewürzintensive Gerichte“, sagte der Frankfurter Professor. Viele eigentlich grundlegende Thai Gewürze wie etwa Kapi seien im Ausland sogar so gut wie nie im Restaurant-Essen enthalten.

„Liebt die Welt vielleicht gar nicht die Thai Küche, sondern nur ihre eigene Vorstellung davon?“ fragte Trenk rhetorisch und erinnerte daran, daß frühe europäische Besucher bereits im 17. Jahrhundert kein gutes Haar an der thailändischen Küche ließen: Kapi und Fischsoße galten als ungenießbar.

Tatsache sei, daß auch heute gegenüber der „echten“ Thai Küche immer noch eine gewisse Fremdheit bestehe. Zudem sei das von der thailändischen Regierung vergebene offizielle Gütesiegel für Thai Restaurants im Ausland keines, das echte Thai-Mahlzeiten garantiere: „Thai select“ sei keine Authentifizierung, so Marin Trenk. Das wesentliche Kriterium für die Aufnahme habe mit Qualität an sich gar nichts zu tun: Es können nur Restaurants aufgenommen werden, die von Staatsbürgern Thailands betrieben werden.