hmh. Berlin. Auf der Thaistudien Konferenz an der Humboldt Universität Berlin am 15. und 16. Juni 2012 stieß ein Vortrag von Prof. Andreas Hartmann (Münster) auf besonderes Interesse. Er befaßte sich mit einem der wichtigsten Reiseschriftsteller des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Ernst von Hesse-Wartegg.
Hinweis: Weitere Berichte über die Berliner Thaistudien Konferenz an der Humboldt Universität hier.
Ernst von Hesse-Wartegg war unter anderem der Autor des 1899 erschienenen, opulent ausgestatteten und reich bebilderten Buches Siam. Das Reich des weißen Elefanten, das noch heute in jede ernstzunehmende Thailand-Bibliothek gehört.
Über die Herkunft dieses vielgelesenen Autors, der mit seiner Frau, der berühmten Opernsängerin Minnie Hauck, schon lamge vor der Erfindung der Jets eine Art frühes Jet Set Leben zwischen der Riviera, Luzern, London und New York führte, und aus dessen rund 30 Büchern Karl May ebenso wie Mark Twain zahlreiche Details übernahmen, weiß man fast nichts. Er soll österreichischer Baron, Geheimer Hofrat und Generalkonsul von Venezuela gewesen sein, allerdings hat ihn Hartmann bei den Recherchen zu seinem Berliner Vortrag in den normalerweise zuverlässigen zeitgenössischen Adelskalendern nicht gefunden.
Seit 1891 lebte der Schriftsteller mit seiner Frau standesgemäß im „Warteggschlössli“ bei Luzern, unweit der Villa Tribschen, die 1860-72 Richard Wagner als Domizil gedient hatte. Dort trafen sich die Berühmtheiten der Welt, wenn Hesse-Wartegg nicht gerade auf Einladung in einem Londoner Club oder als gern gesehener Gast in einem der zahlreichen europäischen Adelshäuser residierte, wo er seine Gastgeber mit seinen Reiseberichten in kleiner oder größerer Runde entzückte, während seine Frau nicht selten private Gesangseinlagen zum Besten gab.
Trotz intensiver Suche war es Andreas Hartmann nicht gelungen, das Rätsel der Herkunft von Hesse-Wartegg zu lösen. Angesichts der großen Verbreitung seiner Bücher sind die Einträge in den Lexika denkbar knapp. Der Schriftsteller starb am 8. Mai 1918 und hinterließ seiner Frau wohl vor allem Schulden, wie es Prof. Hartmann jedenfalls für möglich hält.
Tatsache ist, daß der berühmte Ehemann in den Memoiren seiner Frau kaum erwähnt wird, nur ein einziges Bild von ihm ist in dem Buch vorhanden. Der Nachlaß der Ehefrau befindet sich in Luzern, die Anna Amalia Bibliothek in Weimar verdankt Hesse-Wartegg wertvolle Schriften, einige thailändische Handschriften fanden erstaunlicherweise sogar ihren Weg ins Nordseemuseum in Husum, wie Prof. Volker Grabowsky (Hamburg) am Rande des Vortrags ergänzte.
Merkwürdig fand in der Diskussion nicht nur Prof. Hartmann, daß es über Hesse-Wartegg bisher keine Biographie gibt, obwohl er über 30 Bücher schrieb, die in viele Sprachen übersetzt wurden und mit denen er große Erfolge feierte. Auch in der Tagespresse war das schillernde Paar, etwa bei nahezu jeder Ankunft in New York, reichlich vertreten.
Hesse-Wartegg war der deutsche Reiseschriftsteller des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seine Bücher werden zum Teil bis heute aufgelegt. Hartmann: „Man könnte fast sagen: Über Regionen, aus denen Hesse-Wartegg und Mark Twain Ende des 19. Jahrhundert nicht berichteten, findet man heute so gut wie gar keine zeitgenössischen populären Berichte.“
Was sein Buch über Siam betrifft, scheint es für Hartmann im wesentlichen eine Kompilation aus Hesse-Warteggs eigenen Zeitungsartikeln zu sein, die er während des Besuchs von König Chulalongkon in Europa 1897 geschrieben hatte. Bei seinem Besuch in dem Land habe sich Hesse-Wartegg wohl nur in Bangkok aufgehalten. Ob er jemals bei einem Empfang des Königs dabei war, sei aus dem Text nicht zu erschließen.
Der Münsteraner Professor bescheinigte Hesse-Wartegg abschließend eine „kreative Phantasie“ und schloß nicht aus, daß sich bei gründlicher Nachforschung die adlige Abstammung des Barons von Hesse-Wartegg als gut geschildertes Phantasiegebilde entpuppen könnte, denn eine adelige Familie “von Hesse-Wartegg” sei bisher noch nicht aufgefunden worden auch wenn schon Hesse-Warteggs offenbar erste Schriften 1874 und 1875 in Leipzig unter dem Namen Ernst A. von Hesse erschienen sind.)
Ergänzung am 17. September 2012:
Angeregt durch den Berliner Vortrag von Prof Andreas Hartmann habe ich weiterrecherchiert, unterstützt durch meinen Kollegen und Bücherwurm Klaus Grüner, und siehe da:
Hesse-Wartegg war nicht nur ein eleganter Erzähler und belesener Schriftsteller, sondern auch ein bemerkenswerter Frauenfreund. Da sich seine Ehefrau offenbar weit mehr den schönen Künsten als ihrem Gatten widmete, ging er mindestens eine weitere feste Beziehung ein.
Eine aus dieser Beziehung stammende uneheliche Tochter, die unter dem Pseudonym Vera Hartegg als Schauspielerin und Buchautorin bekannt wurde, gab jedenfalls später in einer wegen des heiklen Inhalts als „Roman“ verbrämten Autobiographie pikante Details über die Ehe Ihres Vaters und die von ihr erlebte Dreierbeziehung zum Besten.
Den siamesischen Elefantenorden, den sie von ihrem Vater geerbt hatte, mußte sie allerdings in den 1930er Jahren versetzen, um in der Nazizeit über die Runden zu kommen, in der sie Probleme wegen des nicht möglichen sicheren Nachweises ihrer arischen Abstammung hatte.
Prof. Andreas Hartmann wird am 21. September 2012 in der deutschsprachigen Abteilung an der Chulalongkon Universität in Bangkok seinen Berliner Vortrag über Hesse-Wartegg noch einmal halten.
2. Aktualisierung am 3. Januar 2018:
Einen ausführlichen Artikel über Hesse-Wartegg mit zahlreichen Links und neuen Forschungsergebissen finden Sie hier: http://www.hmhensel.com/wer-war-ernst-von-hesse-wartegg/