Am Mittag des 8. April gelang es den Demonstranten, die Barrikaden zu durchbrechen und zur Sri Ayutthaya Straße vorzustoßen, wo der wohl mächtigste General Thailands wohnt. Die Residenz von Prem Tinsulanonda war abgesichert mit Gittern und schweren Feuerwehrfahrzeugen; dahinter hatten sich Spezialeinheiten verschanzt. Hier machten die „Rothemden“ Halt. Statt die Konfrontation zu suchen, bauten sie eine Bühne auf und schleuderten dem obersten Berater des Königs ihre Rücktrittsforderung aus Lautsprechern entgegen.
Bis zum Abend blieb es überraschend friedlich in Bangkok. Einen „historischen Tag für Thailand“ hatte der frühere Premierminister Thaksin Shinawatra kurz vor Beginn der Massenproteste vorausgesagt. Aber die Kundgebungen vermittelten den Hauptstädtern zunächst das Gefühl, einer fast schon vertrauten Szenerie beizuwohnen. Wieder tummelten sich Zehntausende Demonstranten im Regierungsviertel und verlangten Neuwahlen. Wieder war ein Teil der Stadt abgeriegelt, während der andere, weitaus größere, kaum Notiz vom politischen Kräftemessen nahm.
Überdruß an Instabilität
In Bangkok wird gerätselt, wie die bislang stärkste Machtdemonstration der Rothemden zu bewerten ist. Als weiterer Looping in der Endlosschleife thailändischer Massenproteste? Als verzweifeltes Aufbäumen eines in die Defensive geratenen Exilanten – gewissermaßen als „Thaksins letzte Zuckung“, wie ein Diplomat in Bangkok mutmaßt? Oder markieren die nunmehr „roten“ Massenproteste das Gegenteil, nämlich den Beginn einer Konterrevolution, die Thailand nachhaltiger verändern könnte als der Putsch von 2006?
Daß es Thaksin und seiner in die Opposition gedrängten Nachfolgepartei gelungen ist, mehr als 100.000 Menschen auf die Straße zu bringen – die Veranstalter sprachen am Abend sogar von 300.000 -, hat viele verwundert. Die meisten Beobachter hielten die Moral der Bewegung für gebrochen, als sich ein Teil der Thaksin-freundlichen Koalition im vergangenen Jahr abspaltete und ein Regierungsbündnis mit der staatstragenden „Demokratischen Partei“ eingingen. Weil der neue Premierminister Abhisit Vejjajiva die Unterstützung von Militär und Königshaus genießt, schien die Regierung vergleichsweise fest im Sattel. Zudem war von einer allgemeinen Demonstrationsmüdigkeit die Rede, von einem lagerübergreifenden Überdruß an Instabilität.
Das Meer der „Rothemden“ – rot war die Hauptfarbe der populistischen „Thai-Rak-Thai“-Bewegung Thaksins – spiegelt nun wider, daß keineswegs resignative Befriedung um sich gegriffen hat. Von einer „strukturell polarisierten Gesellschaft“ spricht Thitinan Pongsudhirak, einer der unbestechlichsten Politikwissenschaftler Thailands. Die schiere Masse der Rothemden, die sich zur „Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur“ (UDD) zusammengeschlossen haben, mache deutlich, „daß man mit ihr rechnen muß“, meint Thitinan.
Der Direktor des „Instituts für Sicherheit und Internationale Studien“, der jahrelang Thaksins Regierungsstil kritisiert hatte, sieht in dessen Nachfolgebewegung eine politische Kraft, die weit über die Rehabilitierung des früheren Regierungschefs hinausweist. Anders als die „Gelbhemden“, die das Land in den vergangenen Jahren im Griff hielten und die alten Eliten zurück an die Macht demonstrierten, strebten die Rothemden eine „echte Demokratie“ an, meint Thitinan.
Die drei Schlachten
In der ersten Schlacht geht es darum, daß die Rothemden versuchen, Premierminister Abhisit und drei Staatsratsmitglieder aus ihren Ämtern zu treiben. Hier haben im Moment noch der Premierminister und die Berater des Königs die Oberhand.
Mit der Belagerung der Prem-Residenz sind die Rothemden nun ins sensible Zentrum des Konflikts vorgestoßen. General Prem präsidiert über dem „Privy Council“, jenem Gremium früherer Generäle, Minister und Richter, das den beinahe allmächtigen König berät. Aus diesem Kreis soll die Initiative für den Putsch gekommen sein, durch den Thaksin im September 2006 entmachtet wurde. Ein offenes Geheimnis, bisher war es ein Tabu, öffentlich darüber zu sprechen.
Peinlich sind die Rothemden darum bemüht, den greisen König Bhumibol von der Kritik an dessen Chefberater auszunehmen. Majestätsbeleidigung wird in Thailand nicht nur als Straftat verfolgt, sie bedeutet den ersten Schritt ins politische Abseits. Und doch ist es den Rothemden und ihren Strategen im Hintergrund geglückt, die Demokratie-Kampagne erstmals um den neuralgischen Punkt zu zentrieren.
Das macht sie gefährlich. Thailands Eliten-System, das seit Dezember wieder von der Regierung repräsentiert wird, gründet auf der Autorität des Monarchen. Schon Thaksin wurde mit dem Argument beiseitegeräumt, er habe das Königshaus in Frage gestellt und heimlich die Einführung einer Republik betrieben. Nichts fürchten das Militär, die Bürokratie und der Geldadel mehr als eine Debatte über die politische Rolle des Königs.
In der zweiten Schlacht geht es um Thaksin selbst. Er versucht, sein beschlagnahmtes Vermögen in Höhe von rund 2,2 Milliarden US-Dollar zurückzuerhalten und seinen Namen reinzuwaschen. Viele Leute sehen darin den Hauptgrund für das Timing der Proteste. Es gibt Gerüchte, wonach ein Mitglied des Staatsrates mit Thaksin verhandelt. Es geht um die Rückgabe des Geldes und die Einstellung von Strafverfahren.
Doch jeder Deal mit Thaksin würde zweifellos die PAD wieder auf die Straße holen. Daher muß eine etwaige Anmestie von oben abgesegnet werden. Ein entsprechender Deal wäre für beide Seiten von Nutzen, denn Thailand droht auf Dauer, in einen Bürgerkrieg abzurutschen.
In der dritten Schlacht geht es um die „wahre Demokratie“. Die Bewegung der Rothemden hat den Weg freigemacht für Demokraten, die in den Gelbhemden und dem konservative Establishment zusammen mit der Monarchie eine Gefahr für die grundlegendste demokratische Freiheit sehen: Ein Mann, eine Stimme.
Diese Leute betrachten Prem als Feind, denn sie mögen keine mächtigen Männer, die, ohne gewählt worden zu sein, sich in Politik einmischen und hinter den Kulissen die Fäden ziehen. Sie unterstützen Thaksin, der quasi als Eisbrecher fungiert, um alte gesellschaftliche Krusten zu durchbrechen. So lange übersehen sie seine autoritäre Vergangenheit als Staatschef. Sie benutzen ihn und werden eines Tages ohne ihn weitermachen.
Es ist durchaus möglich, daß die Rothemden an dieser Front, an der sie gegen Militär, Gerichte und Palast kämpfen, gewinnen werden. Gerichte und Palast sind durch strikte Strafgesetze geschützt, daher griffen die Rothemden zuerst das Militär als Stellvertreter an und jetzt Prem, den unmittelbaren Verbindungsmann zum Palast.
Der unaufhaltsame Aufstieg
Manche scheinen nun eine Eskalation zu befürchten. Die drei Kinder Thaksins haben das Land am Dienstag verlassen, ebenso seine Exfrau und sein Schwager, der frühere Regierungschef Somchai Wongsawat. Premierminister Abhisit hatte im Fernsehen angekündigt, im Falle von Unruhen „hart durchzugreifen“. Das war wohl eher als Warnung gemeint. Nichts kann Abhisit derzeit weniger gebrauchen als gewaltsame Auseinandersetzungen auf Thailands Straßen.
Am 10. April sollen im Badeort Pattaya die Staats- und Regierungschefs der Region zum „Ostasiatischen Gipfel“ zusammenkommen. Zweimal schon mußte das Treffen wegen innenpolitischer Verwerfungen vertagt werden. Daß die Regierung die Sicherheitslage noch immer nicht im Griff hat, zeigte sich Dienstag, als Demonstranten in Pattaya Abhisits Dienstlimousine demolierten und der Premierminister dem aufgebrachten Mob nur knapp davonkam.
Wie immer die kommenden Stunden und Tage verlaufen, der Aufstieg der Rothemden sei „unaufhaltsam, sogar unvermeidbar“, sagt Politikwissenschaftler Thitinan. Selbst wenn ihr Massenprotest zunächst ergebnislos enden sollte, würden sie als „Kraft der Geschichte“ nicht einfach wieder verschwinden. FAZ, AsiaSentinel, la