Heute fast unbekannt: Karl Döhrings biographische Siam-Romane

Hinweis: Weitere Berichte über die Berliner Thaistudien Konferenz an der Humboldt Universität finden Sie hier.

Von Hans Michael Hensel

Berlin. Dabei beruhen alle Siam Romane Döhrings auf historischen Ereignissen und sie beschreiben Personen, die zum Teil noch lebten, als Döhring seine Romane unter Pseudonym veröffentlichte.

Die Lehrbeauftragte อาจารย์ ดร. อารตี แก้วสัมฤทธิ์ Dr. Arati Kaeosamrit ("Aratee Kaewsumrit") von der Chulalongkon Universität in Bangkok befaßte sich auf der Konferenz in Berlin als erste Wissenschaftlerin mit dem wichtigsten dieser von der Thailand-Forschung bisher unbeachteten Romane, der das Leben eines jung verstorbenen Prinzen zum Thema hat.

Karl Döhring (* 1879, † 1941) war Architekt und baute zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Siam unter anderem Paläste für König Chulalongkon und dessen sehr zahlreiche Halbbrüder und Söhne wie zum Beispiel den mit Döhring befreundeten Prinzen Dilok Napharat (*1884, †1912 Selbsttötung).

Nach seiner Rückkehr wurde Döh­ring in Erlangen mit einer Arbeit über siamesische Tempelbauten promoviert und schlug eine Hochschullaufbahn ein.

Nach dem Ersten Weltkrieg stellte er die wissenschaftliche und Architektentätigkeit ein und schrieb zunächst einige vielbeachtete Abhandlungen zur Kunst und Kultur des indischen Kulturkreises. Zwischen 1927 und 1937 erschienen von ihm vier Siam-Romane, neben weiteren Romanen sowie zahlreichen Übersetzungen englischer Roman- und vor allem Krimiautoren wie zum Beispiel Gwen Bristow und Edgar Wallace.

Döhrings erster Siam-Roman war Im Schatten Buddhas. Dieser Roman eines siamesischen Prinzen (Untertitel) erschien 1927 in einer gekürzten Fassung unter dem Pseudonym Ravi Ravendro. Laut Klappentext der zweiten, vermutlich vollständigen Ausgabe dieses Romans von 1940 war der Künstler­name aus Döhrings siamesischen Chue len (= Spitz- bzw. eigentlich „Spielname“) abgeleitet. In der Tat ist รวี rá¿ wi: Rawi ein verbreiteter Name in Thailand, der als Synonym für Phra Athit, die Sonne steht.

Die Hauptfigur des Romans, Prinz Chatri, war im wirklichen Leben jener bereits erwähnte Prinz Dilok ("Dilock"), der 1897, als 13jähriger, nach England zur Ausbildung geschickt wurde und diese Ausbildung ab 1901 in Halle fortsetzte. In Tübingen studierte er Volkswirtschaft und wurde 1907 mit einer Arbeit über Die Landwirtschaft in Siam zum Dr. rer pol promoviert. Abgesehen von einigen Doktores honoris causa unter Bangkoks Adligen, war Prinz Dilok der erste Siamese, der einen Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften erwarb.

Der Roman zeigt, wie Dr. Aratee vortrug, Karl Döhrings Achtung, ja Begeisterung für Siams Kultur. Das Vorwort der 1927er Ausgabe ist ein besonders prägnantes Beispiel für seine auch an anderen Stellen immer wieder geäußerten Mahnungen an die Kolonialmächte und seiner Kritik des europäischen Überlegenheitsgedankens. Dem steht die Figur des Prinzen Chatri scheinbar entgegen, denn der junge Mann, der den größten Teil seines bewußten Lebens in Europa verbrachte, blickt nach seiner langen Abwesenheit aus europäischer Perspektive auf sein Land.

Bangkok erscheint ihm als Stadt der Unordnung, abergläubischer Bräuche, ungesunder Umwelt und rückständiger Mönche, so die Referentin. Voller Energie will er an der Modernisierung seines Landes arbeiten und scheitert daran. Er hat den rechten Maßstab für die Verhältnisse verloren, zudem fühlte er sich wohl auch ausgegrenzt in der königlichen Familie, was jedenfalls im Roman auffallend thematisiert wird (Dilok war das Kind einer Verbindung von Chulalongkon mit einer seiner Mätressen, die aus Chiang Mai stammte). Nach seinem langen Europaaufenthalt war der hochgebildete Prinz ein Fremder im eigenen Land.

Die Gründe für Prinz Diloks Selbsttötung 1912, vier Jahre nach seiner Rückkehr und vor Vollendung seines von Döhring geplanten und gebauten Palasts, wären eine eigene Forschung wert. Döhring schildert in seinem Roman Versuche, Prinz Chatri in eine „Lao“ bzw. Lan Na Konspiration in Chiang Mai zu verwickeln, die es zu jener Zeit, wie Prof. Volker Grabowsky (Hamburg) in der Diskussion bestätigte, tatsächlich gegeben hat. Allerdings läßt Döhring seine mit Respekt und Achtung gezeichnete Hauptfigur nach schweren inneren Konflikten nicht daran teilnehmen. Vielmehr tritt Chatri in einen Tempel ein, wo er sein Leben als Buddhist wie eine Kerze verlöschen läßt.

Die in der Wissenschaft bisher unbeachteten biographischen Siam-Romane Döhrings dürften noch einigen Stoff für Forscher bieten, zumal auch den in Berlin anwesenden Döhring-Kennern und Zuhörern einschließlich des Berichterstatters zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, daß es vom Roman Im Schatten des Buddha eine seltene zweite Ausgabe gibt (Hamburg 1940), in dem zwar Döhrings antikolonialistisches und entschieden antirassistisches Vorwort von 1927 zeitbedingt weggelassen werden mußte, das ansonsten aber den wahrscheinlich vollständigen Manuskripttext enthält, der um mehr als ein Drittel umfangreicher ist als jener der offenbar durch den Verlag gekürzten 1927er Ausgabe.

Mit dem kurzen Leben von Prinz Dilok hatten sich bis zu dem Vortrag von Dr. Aratee in Berlin nur wenige Wissenschaftler befaßt. Die einzige nennenswerte Ausnahme erschien im Mai 1984 in dem thailändischen Magazin Sinlapa Watthanatham – auf Thai. สุพจน์ แจ้งเร็ว Suphot Chaengreo beschrieb unter dem Titel ศรี เมืองเชียงใหม่ Si Mueang Chiangmai "Leben und Tod des Prinzen Dilok von Siam", während Barend Jan Terwiel in der gleichen Ausgabe unter dem Titel เจ้าชายผู้ถูกลืม Chao Chai Fu Thuk Luem ("Ein vergessener Prinz") die Doktorarbeit von Prinz Dilok von 1907 vorstellte. Sie wurde 1908 als normales Buch gedruckt. Diese Ausgabe ist als digitalisiertes "Google Buch" im Internet kostenlos herunterladbar, allerdings in schlechter Qualität und ohne den Anhang. Die bibliographischen Angaben lauten Dilock (damalige Schreibweise), Prinz von Siam: Die Landwirtschaft in Siam. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des Königreichs Siam. Leipzig: Hirschfeld 1908.

Über Karl Döhrings Publikationen schwirren leider viele wohlfeile, aber oft unrichtige Angaben im Internet umher. Auch eine bekannte Doktorarbeit über Döhrings Arbeit als Architekt in Thailand steckt insofern voller Fehler. Hier die genauen bibliographischen Angaben der Siam-Romane:

1. Ravi Ravendro: Tanzende Flamme Dok Mali. [Roman nach wirklichen Geschehnissen.] Leipzig 1927. – Die gebundene Ausgabe findet man in Antiquariaten ab ca. 8 Euro.
2. Ravi Ravendro: Im Schatten Buddhas. Roman eines siamesischen Prinzen [Roman nach einer wahren Begebenheit]. Berlin 1927. – Dieses von Döhring auch äußerlich mitgestaltete, sehr schöne Buch ist so häufig, daß es im Antiquariat oder bei Versteigerungen schon ab 1 Euro in gutem Zustand zu bekommen ist. Das ursprüngliche Manuskript wurde für diese Ausgabe allerdings um etwa ein Drittel gekürzt.
3. Ravi Ravendro: Der Tag der Nang Dara. [Roman mit Einzelheiten nach dem Buch Siamese Harem’s Life von Anna Leonowens.] Leipzig 1929. Ein relativ seltenes Buch, derzeit erst ab etwa 30-40 Euro im Antiquariat.
4. Karl Döhring: Flucht aus Buddhas Gesetz. Die Liebe der Prinzessin Amarin. Roman. Berlin 1937. Döhrings einziger nicht unter Pseudonym erschienener Siam-Roman ist ab 1 Euro zu finden.

5. Ravi Ravendro: Im Schatten Buddhas. Roman eines siamesischen Prinzen. Hamburg 1940. – Seltene, von Döhring kurz vor seinem Tod initiierte zweite Verlagsausgabe mit dem vermutlich vollständigen Text (etwa ein Drittel mehr Umfang als in der Erstausgabe 1927). Dafür mußte wohl zeitbedingt Döhrings antikolonialistisches Vorwort, in dem von Achtung gegenüber anderen Völkern und Rassen die Rede war, weggelassen werden. Im Text sind entsprechende Änderungen dagegen nicht zu finden. Döhring hat etwa die Bemerkungen von Prinz Chatri im Deutschen Klub zu Bangkok über die Gleichwertigkeit der Rassen auf den Seiten 148 (1927) bzw. 150 (1940) stehengelassen. An anderer Stelle wurden entsprechende Passagen, die Thailands Kultur positiv schildern, sogar ausgeweitet. So war 1927 auf Seite 269 nur zu lesen, daß Prinz Chatri wegen seiner zwölf Frauen inzwischen "kein böses Gewissen mehr" hätte, während in der Ausgabe von 1940 auf Seite 271 folgende Erweiterung steht: "Ein böses Gewissen habe ich in dieser Beziehung nicht mehr. Das ist mir in Europa künstlich anerzogen worden. Dort ist jede Erotik öffentlich verpönt, aber im geheimen sieht es ganz anders aus. Ich bin froh, daß ich diese heuchlerische Moral jetzt wieder abgestreift habe. Die Erotik an sich ist weder gut noch böse. Sie ist einfach vorhanden und natürlich."