Massentötungen legen tiefe Probleme in der thailändischen Gesellschaft offen

Massentötungen legen tiefe Probleme in der thailändischen Gesellschaft offen

Nong Bua Lam Phu. Der schockierende Massenmord an meist sehr jungen Kindern in der Provinz Nong Bua Lam Phu hat weitreichende Probleme in der thailändischen Gesellschaft, der Strafverfolgung und im Gesundheitswesen offengelegt.

Im Rampenlicht stehen nicht nur die Drogenplage des Landes, sondern auch tiefe Mängel in der Polizei, laxe Waffengesetze, psychische Probleme und ein Mangel an Psychiatern.

„Wenn so etwas im Ausland passiert, wird sofort eine psychologische Untersuchung [des Täters] durchgeführt, um dem Problem auf den Grund zu gehen“, sagte Dr. Deja Piyavhatkul, ein ehemaliger Medizindozent und Psychiater.

Dr. Deja erklärte, dass eine solche Untersuchung Einblicke in den Geisteszustand des Mörders gewährt und es den Behörden ermöglicht, Richtlinien zu erstellen, die dazu beitragen können, eine Wiederholung solch schrecklicher Gewalt in der Zukunft zu verhindern.

„Solche Vorfälle sind eigentlich vermeidbar. Die Anzeichen können normalerweise schon Monate im Voraus bemerkt werden“, sagte der Arzt.

Thailands schlimmster Massenmord

Am 6. Oktober erschoss der ehemalige Polizist Panya Kamrap einige Opfer, bevor er in eine Kindertagesstätte im Stadtteil Na Klang von Nong Bua Lam Phu stürmte und einen tödlichen Amoklauf startete. Er erschoss und erstach 22 Kleinkinder und zwei Lehrer, von denen einer im achten Monat schwanger war.

Er ermordete acht weitere Menschen, als er nach Hause fuhr, bevor er seine Frau und seinen 3-jährigen Stiefsohn tötete und schließlich die Waffe auf sich selbst richtete. Insgesamt forderte er an diesem Tag 37 Menschenleben.

Die Massenmorde versetzten das Land in einen Schockzustand und stellten den Amoklauf in einem Einkaufszentrum in Nakhon Ratchasima vor zwei Jahren in den Schatten, bei dem 31 Menschen ums Leben kamen.

Panya war im Juni wegen des Besitzes von Methamphetamin von der Polizei entlassen worden. Er nahm am 6. Oktober an einer Gerichtsverhandlung teil, nur wenige Stunden bevor er das Massaker verübte, und sollte am nächsten Tag zurückkommen, um das Urteil zu hören.

Was ist schief gelaufen?

Dr. Deja sagte, Panya habe eindeutig psychische Probleme, sagte aber, es sei immer noch ungewiss, ob sie in direktem Zusammenhang mit seiner Entscheidung standen, den Massenmord zu starten.

Es sei möglich, dass der Mörder die Gesellschaft so sehr hasse, dass er sie „vor Schmerzen aufschreien“ lassen wollte, sagte der Experte.

„Er wollte vielleicht Selbstmord begehen, dachte aber, er würde so vielen Menschen wie möglich schaden, bevor er auch sich selber umbringt. Vielleicht war das seine Art, auf die Gesellschaft zurückzuschlagen“, vermutet er.

Nong Bua Lam Phu hat keinen einzigen Psychiater für die öffentliche Gesundheit. Wenn jemand in dieser nordöstlichen Provinz psychiatrische Hilfe braucht, muss er oder sie mehr als 100 Kilometer reisen, berichtet die Presse.

Tatsächlich kommen in Thailand nur 1,28 Psychiater auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In der Schweiz kommen 47,17 Psychiater auf 100.000 Einwohner.

Zusätzlich zu der Gefahr, die von seinem gestörten Geisteszustand ausging, verschaffte ihm Panyas Hintergrund bei der Polizei Schießfähigkeiten und Zugang zu Waffen. Er ermordete nicht nur 36 Menschen direkt, sondern hinterließ Dutzende Verletzte und mindestens ein Kleinkind, das noch immer um sein Leben kämpfte.

Jaded Chouwilai, die Direktorin der Women’s and Men’s Progressive Movement Foundation, sagt, die Polizei sollte die Verantwortung für die Morde übernehmen.

„Man kann nicht einfach sagen, dass er kein Teil der Truppe mehr war. Was hast du gemacht, als er bei dir war?“ fragte der Aktivist.

Jaded wies darauf hin, dass mehr als 200.000 Männer und Frauen für die Polizei arbeiteten und viele mit Stress zu kämpfen haben, nicht zuletzt aufgrund der Frustration über Thailands Kotau-Kultur.

In den 13 Jahren bis 2021 haben 443 Angehörige der thailändischen Polizei Selbstmord begangen. Als häufige Gründe wurden Probleme mit Gesundheit, Familie, Schulden oder arbeitsbedingtem Stress genannt.

„Viele Polizisten greifen zum Alkohol. Einige fangen vielleicht an, Drogen zu nehmen, aber ihre Vorgesetzten nehmen keine Notiz davon. Verfügt die Polizei über Möglichkeiten, ihren Mitgliedern bei der Stressbewältigung zu helfen? Bewertet sie regelmäßig die psychische Gesundheit der Polizeibeamten?“ fragte Jaded weiter.

Nach dem Massaker kündigte der Nationale Polizeichef Damrongsak Kittiprapas an, dass das Royal Thai Police Bureau ein „White Police“ Projekt starten wird, bei dem Polizisten stichprobenartigen Urintests auf Drogen unterzogen werden und ihr Verhalten genau überwacht wird. Premierminister Prayuth Chan o-cha versprach auch ein nationales Vorgehen gegen Drogenmissbrauch.

 

Massentötungen legen tiefe Probleme in der thailändischen Gesellschaft offen
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Thailands Geißel der Drogen

Einheimische im Unterbezirk Uthai Sawan, wo die Morde im Kindergarten stattfanden, berichten, dass Methamphetamin Pillen in ihrer Heimatstadt weit verbreitet sind.

„Eine Methamphetamin Pille ist sogar billiger als eine Packung Instantnudeln“, sagte ein Einheimischer unter der Bedingung der Anonymität. „Und natürlich sind einige Polizisten selbst in den Drogenhandel verwickelt“, fügte er weiter hinzu.

Und obwohl viele Drogenabhängige zu Rehabilitationsprogrammen geschickt werden, gehen sie aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit normalerweise wieder auf Betäubungsmittel zurück, fügte er hinzu.

Allein im Jahr 2021 beschlagnahmten die Behörden laut offiziellen Statistiken Methamphetamin Pillen mit einem Straßenwert von 550 Millionen Baht. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden alleine schon 342 Millionen Meth Tabletten beschlagnahmt, sagte er.

Thicha Nanakorn, die Direktorin des Ban Kanchanapisek Juvenile Vocational Training Center for Boys, sagte, Panyas Fall spiegele den Mangel an Management in der Polizei wider, die ihrer Meinung nach bis ins Mark verrottet sein könnte.

„Wenn Panya drogenabhängig war, wie hätte er rekrutiert werden können? Die Bemühungen des Landes zur Drogenprävention und -unterdrückung sind offensichtlich fehlerhaft. Es ist klar, dass sowohl junge Menschen als auch Erwachsene leichten Zugang zu Betäubungsmitteln haben“, sagte sie.

Frau Thicha fügte weiter hinzu, dass angesichts der tiefen und anhaltenden Probleme Thailands mit Betäubungsmitteln niemand in Frage stelle, wie das enorme Budget für die Drogenprävention und -unterdrückung ausgegeben werde.

„Wir sollten aufhören, diese Probleme unter den Teppich zu kehren“, sagte sie.

Laxe Waffenkontrollen

Panya war mit einer Waffe bewaffnet, die er im Rahmen eines staatlich subventionierten Waffenkaufprogramms gekauft und bei seiner Entlassung nicht zurückgegeben hatte.

Aber das Problem ist nicht auf die Polizei beschränkt. Auch Zivilisten haben leichten Zugang zu Waffen, wie die 10,34 Millionen registrierten Waffen in Thailand belegen, das eine Bevölkerung von 68 Millionen hat. Tatsächlich hat Thailand laut Small Arms Survey die weltweit höchste Anzahl an Waffen in Privatbesitz.

„Waffenkäufer in Thailand müssen sich bei den Behörden registrieren, aber es gibt keine Bewertung ihres Geisteszustands“, sagte Parit Wacharasindhu, politischer Kampagnenmanager der Move Forward Partei.

Fehlerhafte Unterstützung der Hinterbliebenen

Nach den Massenmorden in Nong Bua Lam Phu hatten die betroffenen Familien Schwierigkeiten, Anspruch auf die Leichen ihrer Angehörigen zu erheben. Währenddessen wurden sie von den Medien umzingelt und mit Fragen bombardiert wie: „Wie fühlst du dich?“

Dies sei, als würde man die Hinterbliebenen zwingen, das Trauma immer wieder neu zu erleben, sagte Dr. Deja.

„Die Behörden hätten ein multidisziplinäres Team zur Unterstützung schicken sollen“, fügte der Psychiater weiter hinzu.

Dr. Amporn Benjapornpitak, der Generaldirektor der Abteilung für psychische Gesundheit, sagte, 170 Menschen seien direkt von den Massenmorden betroffen gewesen.

„Während die meisten Menschen damit begonnen haben, mit ihrem Verlust umzugehen, empfinden einige die Trauer so tief, dass sie sich selbst Schaden zufügen wollen. Es gibt auch Opfer und Zeugen, die Schwierigkeiten beim Essen oder Schlafen haben. Wir beraten sie jetzt“, sagt sie.

 

  • Quelle: Thai PBS World